um das Material erst einmal kennen zu lernen, mit ihm zu spielen. Mit der Kettensäge bewaffnet trat er dem Holz entgegen und versuchte, seine verborgenen Gesichter freizulegen. Aus dem Spiel wurde ziemlich schnell Ernst. Er lernte recht bald die Verarbeitungsgesetze des Holzes kennen und legte sich das entsprechende Werkzeug zu. Fortan konnte er sich ganz auf das Thema konzentrieren, das er sich gestellt hatte: Gesichter eines Baumes. Auch das Eisen, ein Material mit dem er sehr gerne arbeitet, sollte nicht zu kurz kommen. Ihm schwebte eine Kombination von Holz und Eisen vor, teils als schmückendes Beiwerk, teils als stützende oder tragende Komponente. Man denke nur an alte Eichentüren mit den kunstvoll geschmiedeten Beschlägen, eine Symbiose aus Holz und Eisen, Schmuck und Zweckhaftigkeit. So schuf Thomas Wellner im Laufe der Zeit ein richtiges Volk, mit dem Wikinger und seiner Frau, König und Königin, dem Tänzer, dem doppelgesichtigen Derwisch, Frau Spindel und Herr Knolle, dem Freundlichen, dem Eitlen oder dem Schreihals, um nur einige aus dem Stamm von den unterschiedlichsten Charakteren zu nennen. Es sind ganz verschiedene Gesichter und Figuren, die dabei entstanden sind: geheimnisvoll, erschreckend, lustig und interessant. Doch es sind, der konsequent verwirklichten Idee Thomas Wellners folgend, alles Kinder eines einzigen Stammes: eines Baum-Stammes.
Die "Spiegelbilder", die Thomas Wellner in Marburg zeigt, entstanden 1997 in der Gascogne (Frankreich), in dem größten zusammenhängenden Waldgebiet Europas. In einem kleinen, einfachen Landhaus auf einer Lichtung mitten im Wald, abseits der Straßen und des Lärms, ließ er sich von diesem, wie er sagt, sehr lebendigen Wald und der tiefen Ruhe inspirieren. "Spiegelbilder" nennt Thomas Wellner diese Serie in dreifacher Hinsicht: erstens von der Technik her. Durch eine Art Abklatschtechnik werden die beiden Hälften des Bildes gespiegelt, ähnlich wie bei einem Rorschach-Test in der Psychologie. Womit wir bei Punkt zwei angelangt sind: Spiegelbilder der Seele. Nach dem Motto: Sag mir was du siehst und ich sage dir wer du bist. Als drittes Element steht ein Spiegel der Inspiration durch die harmonischen Energien des Waldes. Es sind in sich geschlossene Bilder, in denen die Energien fließen. Alles ist im Fluss, alles lebt und ist aktiv. Dies unterstreichen die klaren Farben und Formen, klare Linien, die fast spielerisch durch das Bild fließen, um sich harmonisch in das Bildgeflecht einzufügen. Harmonie und Energie sind die zwei zentralen Punkte, um die es in den Bildern geht. Die Harmonie von Pflanzen, Tieren und Menschen, die der Künstler durch sein Leben mit und in der Natur fand und letztlich auch die Harmonie von Körper, Seele und Geist. Es sind verschiedene Energien und Temperamente, die durch ihren Gleichklang eingebunden sind in die große Harmonie der Dinge, die in den Bildern Wellners ihren Ausdruck finden.
copyright: 1997-2002 B.J. Antony
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