CHRONIK

Helgoland 25. Juli 1999

PERFORMANCE mit dem Butoh-Ma-Workshop von Tadashi Endo

Schon im Jahr 1998 machte er innerhalb des Künstlerfestivals "Kunst ist eine Insel" der Künstlergruppe PARADOX Furore. Stieß entweder auf offene Ablehnung oder helle Begeisterung. Ein Großmeister des Butoh Tanzes, wie es wenige auf der Welt gibt: der Japaner Tadashi Endo, u.a. Leiter des Butoh-MA Zentrums in Göttingen.
Auch dieses Jahr fand er wieder auf die Insel, veranstaltete einen Workshop mit zehn Teilnehmerinnen und studierte mit ihnen ein Programm ein, das er dann öffentlich mit der Gruppe aufführte.
 

Nicht nur aus allen Teilen Deutschlands, sondern sogar aus Israel, Österreich und Norwegen kamen die Tänzerinnen, die unter der Führung von Tadashi Endo den Butoh Tanz umsetzen wollten.

Butoh ist ganz einfach, kurz und salopp gesagt ein japanischer Ausdruckstanz, in dem es um das tanzende Improvisieren der grundlegenden Themen von Mensch und Natur geht. Gesteuert nur von den ureigenen, innersten Gefühlen im Austausch mit der jeweiligen Umgebung und den damit aufgefangenen Sinneseindrücken. Tadashi Endo hat einen ganz eigenen Tanzstil im Sinne des Butoh entwickelt, den er Butoh-MA nennt. MA bedeutet im Zen-Buddhismus einerseits "die Leere", andrerseits aber auch die "Räume zwischen den Dingen". In seinem Tanz werden diese "Zwischenräume" in den sehr feinen Verwandlungen sichtbar. Gerade die Momente der Verwandlung von einer "Figur" zur nächsten oder von "einem Bild" zum nächsten, mit beinahe unsichtbaren Bewegungen und einer intensiven Spannung, sind für Tadashi Endo wichtiger als die Darstellung derselben. Diese Spannung ist es, die er auch den Teilnehmern seiner Workshops näherbringen möchte. Zunächst versucht er, die Teilnehmer die Langsamkeit erfahren zu lassen. Die Übungen konzentrieren sich auf die Füße als Wahrnehmungsorgan und Verbindung zur Mutter Erde. Ist diese wichtige Stufe erklommen, fügt er den Übungen des langsamen Gehens Bilder hinzu, die in der Bewegung dargestellt werden sollen. Für das Verstehen seiner Tanzform gilt: nicht die expressive Bewegung ist wichtig, sondern das Innehalten und Nachgehen der Phantasie in einem Zustand der inneren Leere, der fast der Trance gleicht.

Seit Jahrtausenden fragen sich die Menschen schon nach dem Sinn des Lebens, ohne eine endgültige Antwort zu finden - und dann wird Helgoland aus im wahrsten Sinne des Wortes heiterem Himmel plötzlich mit der relativ einfachen Frage konfrontiert: was ist der Sinn von Butoh? Die Verwirrung ist perfekt, als Tadashi Endo mit seiner Performance-Gruppe durchs Oberland schreitet, die Treppe hinunter, den Lung Wai entlang bis zur Landungsbrücke. Die Körper und Gesichter weiß gemalt, halbnackt oder mit skurrilen, archaischen Kostümen. Tadashi voran mit seinem weiten, roten Umhang, geschminkt wie eine Geisha. Jede seiner Bewegungen ist kontrolliert, er führt die Gruppe souverän. Zehn Tage lang wurde einstudiert, was diese Performance ausdrücken soll. Die Menschen am Straßenrand, Tagesgäste, Urlauber, Helgoländer, zeigen sich anfangs ratlos. Aber sie beginnen nach Erklärungen zu suchen - und darin schon liegt ein Sinn.

Erste Station. Die Gruppe verteilt sich auf der Landungsbrücke. "Mensch und Natur" ist das Thema der Performance, das sich bis zum Schluß durchziehen soll. Die Akteure nehmen die Schwingungen um sich herum auf, setzen sie in Bewegungen um. Die eine Tänzerin öffnet weit die Hände, die Arme, den Mund, die Augen, um Himmel und das Meer in sich aufzunehmen und zu vereinen. Die nächste windet sich mit stillem Schrei am Boden, um den Kontakt zur Erde zu finden. Jede der zehn Butoh Tänzerinnen findet einen anderen Ausdruck für ihre Gefühle an diesem Ort. Und doch ist da eine gemeinsame Schwingung, die bei Tadashi Endo ihren Kontrapunkt findet, der gravitätisch in der Mitte der Landungsbrücke über der Szenerie zu schweben scheint und sie vereint. Viel Publikum läuft zusammen, hält aber rein instinktiv einen gebotenen Abstand. Es ist wie eine Intuition, ein unterbewußtes Zusammenspiel von Kräften zwischen Darstellern und Zuschauern - Butoh gebietet Respekt, auch wenn keiner sich erklären kann warum.

Zweite Station. Der Sportplatz mit seinem grünem Kunstrasen wird zu einem magischen Feld, das man sich nicht zu betreten traut, besetzt von den Akteuren der Gruppe, die sich zunäähst einstimmen. Anfänglich scheinen die Frauen für sich zu stehen, tanzen ihren Tanz, während Tadashi sich auf die Zuschauertribüne zurückzieht. "A-E-U!" klingt es plötzlich von verschiedenen Tänzerinnen abwechselnd. Die Möwen antworten auf die Schreie, sind voll mit im Spiel. Mensch und Natur. Das Echo bricht sich im Felsen. Hoch oben auf den Klippen sammeln sich die überraschten Zuschauer, Tagesgäste auf ihrem Inselrundgang, die sich mit Zurufen, die man wegen der Entfernung leider nicht verstehen kann, in die Szenerie mischen. Die Gruppe findet sich in der Mitte des Feldes zusammen. Wunderbare Frauenstimmen erklingen mit sehnsuchtsvollem, sphärischem Gesang. Darüber sammeln sich aufgeregt wieder einige Möwen und mischen sich mit schrillen Schreien ein. Die Stimmen klingen sachte aus und die Tänzerinnen verlassen langsam eine nach der anderen das Feld. Nur unzählige Bienen summen noch, als wollten sie fortführen, was hier begonnen wurde. Ein unbeschreiblich magischer Moment: Das Fußballfeld leer, die Bienen summen und niemals wieder wird es an diesem Ort so etwas geben. Niemals wieder wird hier Vergänglichkeit so nah gespürt werden können. Bald schon werden Männer über den Kunstrasen stürmen, mit heiserem Schrei den Ball verlangen. Man sieht förmlich ihre Schatten rennen, die Flanke von rechts, den Kopfball des Stürmers, die Parade des Torwarts - die Magie erlaubt eine Verschmelzung von Zeit, wenn man sich nur auf sie einläßt.

Dritte Station. Am Nordstrand. Die Tänzerinnen tanzen nackt mit ihren geweißten Körpern. Spielen mit dem Meer, mit dem Wind. Gehen ins Wasser, nehmen den Seetang in ihre Münder und werden zu skurrilen Seetieren. Flattern im nächsten Moment kreischend auf wie die Möwen und finden schließlich den Weg zu ihrem Meister, Tadashi Endo, der sich mit langsamen Bewegungen der Umgebung bemächtigt. Er beherrscht den Strand, das Meer, den Himmel, seine Tänzerinnen, in intensiver Korrespondenz mit seinem Innen und Außen. Er geht ins Wasser, tiefer und tiefer, wird langsam eins mit dem Element. Während sich seine Gruppe am Strand niederlegt, ihm wie von einem anderen Ufer nachwinkt. Aber plötzlich im

nächsten Moment in ihrer Haltung wie Seehunde wirkt. Nein! - Sie liegen wie Seehunde, bewegen ihre Köpfe wie Seehunde, schauen wie Seehunde - sie SIND Seehunde! Die perfekte Illusion, die langsam zum nächsten Bild wechselt und nun werden sie zu Nixen im Sand. Ein eigentümlicher Zauber. Es ist ein herrlich sonniger Tag, ein blauer Himmel ohne Wolken. Die vielen Badegäste, die durchs Wetter an den Strand gelockt und von der Performance völlig überrascht werden, klatschen spontan Beifall, als Tadashi Endo die Aktion mit einem lakonischem und leisem "It´s finished" beendet.

Dies sind nur Momentaufnahmen, einige wenige tief gefühlte Momente aus der gesamten Performance. Was bleibt zurück? Butoh muß sich nicht erklären, denn Butoh ist ganz einfach eine Übermittlung von Lebensgefühl. Entweder man bekommt "einen Draht" dazu und spürt die Magie. Oder man tut es als Spinnerei einiger Wirrköpfe ab, wie auch an diesem Tag an Kommentaren zu hören war. Wen jedoch der Zauber der Magie ergriffen hat, wird den Satz begreifen, den Tadashi Endo über sein Wirken stellt: "Ich tanze nicht, ich werde getanzt." Den Skeptikern und unnachgiebigen Kritikern aber sei auf die Eingangsfrage nach dem Sinn gesagt: es gibt keine endgültige Antwort. Wie im richtigen Leben. Es wird gelebt.

copyright: 1997-2002 B.J. Antony

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