"Kunst ist eine Insel" Eröffnung am 1. August 1998

Der Kunstsommer Helgoland 1998 wurde mit einem fulminanten Programm eröffnet. Der Vormittag stand im Zeichen der "Enthüllungen"; die meisten der großen Außeninstallationen wurden speziell für dieses Kunstfestival erstellt:
 

Tadashi Endo "Sonnenkreislauf"
von Sonnenauf- bis untergang

Der Japaner Tadashi Endo hat einen ganz eigenen Tanz-Stil entwickelt, der wie eine Gradwanderung zwischen den östlichen und westlichen Kulturen und zwischen den Kunstrichtungen Theater, Performance und Tanz ist.
Er nennt ihn Butoh-MA. MA bedeutet im Zen-Buddhismus "Die Leere", aber auch "Räume zwischen den Dingen". Diese "Zwischenräume" sind es, die Tadashi Endo in sehr feinen Verwandlungen sichtbar werden läßt.
Mit musikalischer Begleitung durch Heinz Godecke eröffnete Tadashi Endo "Kunst ist eine Insel" mit einer ganztägigen Tanzperformance unter dem Thema "Sonnenkreislauf" rund um die Insel. Er

begann mit Sonnenaufgang um 5.30 Uhr an den Landungsbrücken. Trotz dieser unchristlichen Zeit ließ es sich selbst Bürgermeister Baumann nicht nehmen, diesem ersten Ereignis des Kunstfestivals bei zu wohnen. Er kam nicht allein, neben einigen Frühaufstehern fand sich ebenfalls ein Grüppchen unentwegter Nachtschwärmer ein, um den Morgen einmal auf diese ungewöhnliche und mystische Weise zu begrüßen.

Fahrendes Volk"
von Kai Georg Wujanz und Sylvia Reiser



Für das Kunstfestival "Kunst ist eine Insel" auf Helgoland schufen die Künstler Kai Georg Wujanz und Sylvia Reiser als erstes gemeinsames Projekt nach eigenen Entwürfen auf einer Bootswerft in Varel (Ostfriesland) aus Schiffsstahl geschweißt das " Fahrende Volk", eine Gruppe von fünf mit Bitumen geschwärzten Stieren, die teilweise an exponierten Stellen galvanisch vergoldet wurden.
Nach einer langen nächtlichen Reise mit dem Frachter von Ingo Rickmers' Frachtkontor aus Cuxhaven kamen die Stiere nachts um halb zwei auf der Insel an; fürsorglich begleitet von ihren beiden Schöpfern, die dies für sie ungewöhnliche Abenteuer einer Seefahrt wohl behalten hinter sich brachten. Trotz der späten Stunde wurden sie gleich nach dem Anlegemanöver am Binnenhafen von B.J. Antony zünftig mit Sekt begrüßt. Den anschließenden Umtrunk in der "Bunten Kuh" mit den bereits anwesenden

Künstlern hatten sich die beiden sauer verdient.
Per Kran des Wasser- und Schifffahrtsamtes Helgoland wurden die Skulpturen am nächsten Morgen auf den Südstrand gehievt. Auf große Stahlmatten geschraubt, schwemmten sie hier durch die Macht von Ebbe und Flut innerhalb von wenigen Tagen in den Sand ein. Den beiden Künstlern sieht man die Freude über das Gelingen deutlich an.
Die stählerne Stiergruppe wurde so aufgestellt, dass bei Flut der erste Stier am Strand stand, der letzte nur mit dem Kopf aus dem Wasser ragte. Bei Ebbe befanden sich alle "an Land". Symbolisieren sollte die Gruppe die Eroberung Helgolands durch fremde Kulturen - was sollen Stiere auf der Nordseeinsel? - die fremden Kulturen, das waren wir: PARADOX.
Nach dem Ankauf durch die Gemeinde hat das "Fahrende Volk" heute seine Heimat auf der Augusta-Mole, gleich an der Einfahrt zum Binnenhafen, gegenüber den Landungsbrücken. Es mag symbolisch sein, dass ausgerechnet die Stiergruppe auf der Insel verblieben ist - als Zeichen der Invasion fremder Kulturen auf Helgoland. Und das hat Tradition.

"Europa"
von Jürgen Simon


Wie kriegt man eine Skulptur, 4,50 m hoch und 900 Kilo schwer auf die Hochseeinsel Helgoland ? Ganz einfach: mit Tieflader, Frachter, Kran und viel Humor.

Aber was sollte das denn alles ? Eine Wäscheklammer durchbohrt von einem Nagel - und dann heißt das Ganze auch noch "Europa". Auf Helgoland.

Der Künstler Jürgen Simon meint: "Die Spontanität sowie die Reaktionen von Betrachtern reflektieren die hohe Aussagefähigkeit der beiden aus ihrem normalen und zweckhaften Gebrauch

herausgelösten Elemente Klammer und Nagel. Gerade die Allpräsenz dieser beiden wohlbekannten Gegenstände sowie deren einfache Form, überdimensional dargestellt, machen die Ästhetik der hohen Skulptur aus."

Aber was hat Helgoland mit Europa zu tun? Waren da nicht Mitte der fünfziger Jahre die Studenten, die die Insel besetzten und die europäische Fahne hissten? Waren da nicht die Helgoländer in ihrem verzweifelten Kampf für eine Rückkehr auf ihre im Krieg völlig zerstörte Insel? War da nicht der Gedanke von Einheit, der die Kräfte zusammen brachte, die eine schier unmöglich scheinende Idee anpackten und verwirklichten? Fragen und Antworten, das provoziert die Kunst.

Die Skulptur war unumstritten umstritten. Die Kinder fanden den einfachsten Zugang zu "Europa": sie nahmen es in Besitz, spielten damit, kletterten hinauf und hinab in immer neuen Perspektiven, rutschten mit dem Arsch hinunter.

Jürgen Simons Skulptur war während "Kunst ist eine Insel" unübersehbar am Beginn der Landungsbrücke aufgebaut, gleich bei der Konzertmuschel. Alle Inselbesucher mussten an "Europa" vorbei, ob sie wollten oder nicht. Das Ding war einfach nicht zu übersehen. Und musste kommentiert werden.

Von Helgoland aus trat die Skulptur ihre Reise durch die Städte Europas an, zunächst innerhalb Deutschlands. Zur Zeit ist sie in der Bundeshauptstadt Berlin in der Holländerstraße zu sehen. Als Botschafter Europas wird sie langfristig gesehen noch um die Welt gehen, so jedenfalls die Planung des Künstlers Jürgen Simon. Er weiß selbst, dass eine Idee nur dann verwirklicht werden kann, wenn sie Unterstützung findet...

 

"Charon" von Barbara Lorenz-Höfer
Einen Künstlerprofi erkennt man daran, dass sie eine 6 m lange Skulptur aus Holz, Blei und Eisen mit einem einzigen Augenaufschlag von einem Gabelstapler in einer halben Stunde auf dem Rasenvorplatz des Hotels Schwan aufbauen läßt und danach frühstücken geht.
Die "Charon" wurde direkt neben dem Flanierweg am Südstrand aufgebaut; tiefer auf den Rasen konnte der Gabelstapler die schwere Skulptur nicht bringen ...
"Charon", in der griechischen Sage Sinnbild der Fähre zwischen Ober- und Unterwelt blieb nicht lange an diesem Platz ... aber das ist eine andere Geschichte.
 

"Leuchtturmsockel"
von Lars Contzen

Für das Kunstfestival "Kunst ist eine Insel" hat Lars Contzen den Fuß des Leuchtturms auf der Düne neu gestaltet und bemalt.

Während der Arbeit am Leuchtturmsockel abstrahierte Lars Contzen sein ursprüngliches Konzept immer weiter, bis zum Schluß nur noch die vier Buchstaben N, S, O und W blieben. Heute sieht der Leuchtturm so aus, "als wäre er schon immer so gewesen". Ein schönes Kompliment für den Künstler.

"Kugelblitze"
von Jörg Obenauer

Während des Kunstfestivals waren Jörg Obenauers flackernde "Lichtobjekte" am oberen Falm aufgehängt.
Die fünf verschieden großen transzulenten Kunststoffbälle, in denen 60 bis 80 Spezialbirnen (je nach Größe der Bälle) in einer zufälligen und sehr schnellen Reihenfolge aufblitzen, waren des Nachts ein starker Anziehungspunkt für Nachtschwärmer und Romantiker.

Presseempfang
Rechtzeitig zum Presseempfang schmückte Kai Georg Wujanz das Treppenhaus des Helgoländer Rathauses mit seiner 7 Meter langen gemalten Geschichte des "Fahrenden Volkes".

Zum Presseempfang im großen Sitzungsaal des Rathauses luden um 13.30 Uhr der Bürgermeister von Helgoland, Franz Josef Baumann und die Künstlergruppe PARADOX. Nach einer Begrüßung des Bürgermeisters gab als Vertreter der Künstlergruppe B.J. Antony eine Einführung in das Kunstprojekt.

Danach entspannen sich viele Gespräche und ein intensiver Austausch über Kunst, dem Sein und überhaupt...

Auf den Bildern: Bürgermeister F.J. Baumann und B.J. Antony von der Künstlergruppe PARADOX. Die Künstlerin Sylvia Reiser (Mitte) und Hans Stühmer (links), Leiter vom Wasser- und Schiffahrtsamt Helgoland, sowie Frank Botter (rechts), damaliger Leiter des Ordnungsamtes. Die Künstlerin Barbara Röpke (rechts) mit Uwe Schendel (2. von rechts) und ihren Lebenspartern. Der Künstler Hans-Gerd Doneck (rechts) im intensiven Gespräch mit dem Bürgervorsteher von Helgoland, Horst Heikens.
 

Empfang unter freiem Himmel bei herrlichem Sonnenschein

Offiziell eröffnet wurde das Kunstfestival "Kunst ist eine Insel" um 14.30 Uhr in der Konzertmuschel auf der Landungsbrücke vom Bürgermeister und Schirmherrn der Veranstaltung, Franz Josef Baumann sowie dem Geschäftsführer der Künstlergruppe PARADOX, B.J. Antony. Vor dem zahlreich erschienenen Publikum betonte der Bürgermeister in seiner Ansprache zunächst die Bedeutung des Kunstfestivals für Helgoland, klammerte nicht aus, dass von den rein dekorativen Arbeiten, an denen jeder seine Freude habe mal abgesehen, vieles vielleicht zunächst befremdlich wirken möge. Aber dies setze Gedanken frei und er habe sich selbst erst intensiv mit einigen Kunstwerken beschäftigen müssen, ehe er ihren Hintersinn verstanden habe. Dem gesamten Unternehmen wünschte er viel Erfolg, auch im Namen der Gemeinde Helgoland. Anschließend gab B.J. Antony einen ausführlichen Einblick in Ziele, Ideen, Geschichten und Hintergründe des Kunstfestivals, nicht ohne seinen Dank auszusprechen an die beteiligten Künstler und allen, die dies Projekt ideell, mit tatkräfiger Hilfe, tragenden Dienstleistungen oder finanziell unterstützt hatten und so zum Gelingen des umfangreichen Projekts beitrugen.

Den musikalischen Auftakt des Kunstfestivals besorgten danach die "Taktlosen", ein Frauenduo mit Akkordeon und Klarinette, das mit seinen rythmischen Klezmer-Weisen die Zuhörer zum Swingen brachte.

 

Eröffnung der Hummerbude PARADOX

Um 17 Uhr wurde die Hummerbude am Binnenhafen als Anlaufpunkt und Galerie der Künstlergruppe PARADOX auf Helgoland mit einer "kleinen Feier" eingeweiht. Ob es an der Kunst lag, dem Kaffee und Kuchen oder dem Freibier - es kamen viel mehr Menschen als erwartet. Die kleine Hummerbude drohte aus allen Nähten zu platzen, zum Glück waren draußen Tische und Bänke aufgebaut.

B.J. Antony hielt als Vertreter der Hummerbuden-Eigner (Antony/Reiser/Antony) sowie der Künstlergruppe PARADOX seine nunmehr dritte Ansprache an diesem Tag, die deshalb auch kurz und knapp wurde. Was das Publikum freute, konnte es sich doch wieder den Wesentlichen Dingen zuwenden: der Kunst und den anregenden Gesprächen natürlich
 

- auch wenn´s da noch gab am Rand
 viel Speis
Trank
und Gesang

Die "Taktlosen" spielten zur Untermalung des frühen Abends nochmal ihre mitreissenden Klezmer-Rythmen.

TADASHI ENDO: "one nine four-seven"
Performance mit Saxophon-Begleitung
in der Nordseehalle Helgoland, 21 Uhr

In seiner perfekten Vorstellung des Butoh-Tanzes tanzt der Tänzer nicht, er wird getanzt.
Es ist als stünde er neben sich und sieht zu, wie eine fremde Hand ihn führt.
Er öffnet das "Dritte Auge" beim Zuschauer, läßt eine spannende Atmosphäre entstehen, die den ganzen Raum erfüllt, ihn in eine andere Welt verwandelt. Der Zuschauer ist nicht mehr er selbst, er verwandelt sich in das, was er sieht und fühlt, er nimmt jede Bewegung auf - und hält den Atem an.

Und so war die Spannung im Publikum direkt spürbar als Tadashi Endo, obwohl er schon seit dem frühen Morgen unterwegs war, seine faszinierende Bühnenshow mit hoher Konzentration tanzte.

ROGER TRASH und das legendäre Schlampenorchester
in der Nordseehalle Helgoland, 22.30 Uhr

- Straßenpoesie - Gossenlyrik - Rock'n Roll -

Roger Trash hatte sein Schlampenorchester zu Hause gelassen und kam nur mit einem Begleitmusiker. "Keine Panik!" lächelte er mit dem ihm eigenen Charme auf irritierte Blicke, "wir machen zu zweit genausoviel Krach wie zu siebt...!"
Ein wahres Wort, gelassen ausgesprochen. Zwei Profi Rock´n Roller, die mit ihrem Sound das Publikum schnell mit rissen. Durchweg eigene Songs, originelle Texte, bissig, sarkastisch, böse - aber immer mit einem Schuß Selbstironie oder Galgenhumor.

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